Supermakros mit dem "Kitobjektiv" Canon 18-55mm

Wer das Canon 18-55mm als günstiges Einsteigerobjektiv für Weitwinkel- und Normalaufnahmen betrachtet, der verkennt wohlmöglich die Fähigkeiten, die es z.B. auch im Makrobereich hat. Hier ist es selbst den Makrospezialobjektiven in Sachen Abbildungsmasstab haushoch überlegen.

Wie das geht ? Ganz einfach, es wird nicht auf die herkömmliche Art und Weise mit der Canon DSLR verschraubt, sondern verkehrtherum, also mit der Frontlinse zum Gehäuse zeigend, angesetzt.

Dazu eine Demonstration anhand des Auges einer Biene:

Während das Kitobjektiv in Normalstellung eine maximale Abbildungsgrösse von etwa 1:2 erreicht (Motiv wird in der halben Grösse auf dem Sensor abgebildet), übertrifft es in der Retrostellung ein spezielles 1:1-Makroobjektiv um den  Faktor 4.

Überblick

- den Effekt selbst nachvollziehen
- welche Vergrösserungen erreicht werden
- die Abbildungsqualität
- Einschränkungen
- Praxistipps
- Bildbeispiele
- Selbstbauanleitung
- Foto-Workshop

1. so lässt sich der Effekt nachvollziehen

Nicht nur, wenn ein Objektiv mit der Kamera verschraubt ist, lässt es sich nutzen. Sie können es auch so in die Hand nehmen und durchblicken. Wenn es umgedreht, also mit der Frontlinse zum Auge zeigend gehalten wird (Retrostellung), dann wird daraus eine extrem vergrössernde Lupe.

Dieser Effekt lässt sich auch mit der Kamera nutzen. Dafür braucht es für erste Testzwecke zunächst nicht fest verschraubt werden; es reicht, wenn es einfach an die Kamera drangehalten wird.

Versuchsweise kann es z.B. mit einem Buch abgestützt oder mittels einiger Gummibänder provisorisch mit der Kamera verbunden werden um damit extrem vergrösserte Aufnahmen machen zu können.

Gummiband- oder Buchmethode sind natürlich nur eine provisorische Lösung mit der sich kaum ernsthaft Makroaufnahmen realisieren lassen. Weiter unten wird dazu eine Selbstbauanleitung vorgestellt, um das Kitobjektiv praxisgerechter mit der Kamera zu verbinden.

worauf der Effekt basiert

Durch Balgengeräte oder Zwischenringe lässt sich ein Vergrösserungseffekt erzielen, weil die Entfernung von Rücklinse zum Bildsensor erweitert wird. Der gleiche Effekt tritt faktisch ein, wenn das Objektiv umgekehrt an die Kamera gesetzt wird. War vormals die Bildweite - also der Abstand von der Linsenhauptebene zum Bildsensor - nur ein paar Zentimeter gross, kommt  jetzt die Gegenstandweite (Abstand Motiv zur Hauptebene) zum Zuge. Vereinfacht ausgedrückt wird jetzt die Mindestdistanz, die in Normalstellung für das Objektiv gilt, zur Auszugsverlängerung, während die Distanz von Bildsensor zur Hauptebene nun zur neuen Mindestentfernung wird. zum Dokumentanfang

2. Vergrösserungsbereich

Das Canon 18-55mm verfügt als Zoom auch in der Retrostellung über verschiedene Vergrösserungsstufen. Hier führt jedoch die grösste Brennweite von 55mm zur geringsten Verkleinerung, während die Stellung bei 18mm die maximale Abbildungsgrösse zeigt. Insoweit ist das Kitobjektiv mit seinen 18mm den meisten anderen Objektiven, die sich natürlich ebenfalls in Retroposition an der Kamera betreiben lassen,  in Sachen Abbildungsmasstab überlegen.

Die Vergrösserungsstufen im Überblick:

Abhängig von der Fokussierstellung des Fronttubus lassen sich unterschiedliche Grössenmasstäbe bei gleicher Brennweite erreichen. Das 1-Cent-Stück wurde masstabsgetreu 18-fach verkleinert abgebildet.  zum Dokumentanfang

3. Abbildungsqualität

Die reine Abbildungsgrösse ist natürlich nicht alles, denn zu einem gelungenen Makrofoto gehört auch eine hohe und detaillierte Auflösung. Verglichen wird daher das Kitobjekiv mit dem hervorragend auflösenden Tamron SP AF 90mm DI Makro 1:1. Um gleiche Verhältnisse zu schaffen, wird das Canon 18-55mm auf den Abbildungsmasstab von 1:1 eingestellt.

Die Aufnahmen wurden vom Stativ mittels Fernauslöser und Spiegelvorauslösung bei höchster Jpeg-Auflösung vorgenommen. Aus einer Reihe von Aufnahmen, die sowohl mit Autofokus als auch manueller Fokussierung erstellt wurden, ist jeweils das schärfste, unbearbeitete Bild ausgewählt:

Ob Briefmarke, Ohrenkneifer oder Schuster: die Unterschiede beim Abbildungsmasstab von 1:1 zwischen Kitobjektiv und Makrospezialist fallen kaum ins Gewicht. Angesichts des Preisunterschiedes überrascht hier das Canon 18-55mm also mit beachtlicher Detailauflösung.

Ein Grund für die gute Abbildungleistung ist darin zu sehen, dass nur der zentrale Kreis der Optik ausgenutzt wird und so praktisch das "Filetstück" der Linsen zur Anwendung kommt.  zum Dokumentanfang

4. Einschränkungen

Das Canon 18-55mm wird über den im 2. Teil vorgestellten Adapter nicht elektrisch mit der Kamera verbunden, daher ist die Blende nicht verstellbar. Eine elektrifizierte Lösung mit der Möglichkeit einer Blendenregelung über die Kamera wird z.B. von Novoflex mit dem sogenannten Umkehradapter hier angeboten.

Es wird also mit dem Kitobjektiv normalerweise mit Offenblende gearbeitet, was im extremen Makrobereich zu einer sehr geringen Schärfentiefe führt. Wie dies umgangen werden kann, dazu weiter unten ein paar Tipps.

Als weitere Einschränkung gilt, dass manuell fokussiert werden muss, da der Autofokussiermotor durch die fehlende elektrische Verbindung zum Objektiv nicht angesteuert werden kann. zum Dokumentanfang

5. Praxistipps

mehr Schärfentiefe

für mehr Schärfentiefe gibt es allgemein drei Techniken:

a) den Abstand zum Motiv vergrössern
b) eine kleinere Brennweite wählen
c) Abblenden

Alle drei Methoden können auch im extremen Nahbereich angewandt werden, wenngleich sich beispielsweise die Abstandveränderung nur im Bereich von 11,5 - 3,5 cm bewegt. Die Abblendtaste lässt sich - wie erwähnt - in Retrostellung nicht mehr direkt über das Wahlrad steuern. Dies kann jedoch umgangen werden, wenn das Objektiv zunächst normal mit der Kamera verbunden wird, dann wird wie gewohnt eine grosse Blendenzahl eingestellt und die Abblendtaste festgehalten. Während Sie die Abblendstaste festhalten, wird das Objektiv von der Kamera gelöst und in Retrostellung gebracht. Die kleinere Blende bleibt dann im Objektiv weiterhin aktiv und kann so für Aufnahmen genutzt werden.

Eine weitere Lösung kann in der nachträglichen Bearbeitung mit der elektronischen Bildbearbeitung liegen, wenn mehrere Aufnahmen desselben Motivs mit verschobenem Fokussierpunkt miteinander fusioniert werden. Voraussetzung ist hierbei ein absolut ruhiges Motiv. Eine Praxisanleitung für Photoshop finden Sie hier

mehr Licht

Für die Praxis empfiehlt es sich eine Taschenlampe mitzuführen, um bei extremen Vergrösserungsmasstäben der zunehmenden Dunkelheit entgegenzuwirken, denn mittels des Sucher wird manuelles Scharfstellen auch bei Tageslicht bei stärkerer Vergrösserung schwieriger.

Viel Licht wird auch benötigt, um durch kurze Verschlusszeiten Bewegungs- und Verwacklungsunschärfen zu minimieren. Neben Taschenlampen können hier auch spezielle Makroblitzgeräte weiterhelfen. zum Dokumentanfang

6. Einige Bildbeispiele (Mausklick für Grossansicht)

Schnake

Marienkäfer

Ameise  zum Dokumentanfang

7. Selbstbau

Neben Novoflex mit dem Umkehradpater hat auch Canon für den Supermakrobereich das ebenfalls auf der Retrotechnik basierende Lupenobjektiv MP-E65mm im Programm. Auch bei dieser Lösung muss allerdings auf den Autofokusbetrieb verzichtet werden.

Warum also nicht ein paar hundert Euro sparen und selbst Hand anlegen ?

Eine Selbstbauanleitung und weitere Infos gibt's dazu hier im 2. Teil  

Sie können alternativ den Adapter auch im Traumflieger-Shop kostengünstig erwerben. Dort ist auch eine verbesserte Version (Retroadapter-Professional) mit Schraubgewinde verfügbar. Zum Angebot bitte hier entlang

zum Dokumentanfang

8. Workshop

Wie Sie in der Praxis mit dem Retroadapter arbeiten können, erfahren Sie in dem neuen Fotoworkshop "Supermakro mit dem Kitobjektiv und Retroadapter" zum Dokumentanfang


Leserkommentare:

Derzeit sind hier 48 Kommentare vorhanden:
 

stefan tf: @Joe: Danke für deine Tipps !
Ein Filter ist eine gute Idee, wenngleich sich die Snap-Deckel ebenfalls bewährt haben.
Verkleben würde ich auf alle Fälle auch mit einem Zweikomponenten-Kleber. Bei den Objektivdeckeln im Selbstbau werden die sogar dreifach verklebt, das sollte halten.
(27.11.2004, 23:48 Uhr)

Joe: Spitzenidee! Hab noch Tipps: Statt Stemmen Kreisbohrer verwenden. Bohrmaschine anschmeissen, nachschleifen, fertig. Außerdem habe ich 2-Komponenten Epoxitharzkleber verwendet, der läßt sich gut ausrichten, klebt superfest und härtet transparent aus. Zusatztipp: Statt des Objektdeckels besser einen alten Filter verwenden. Hatte noch einen alten Gummi-Geli. Dann kannn man das Objektiv schrauben, was fester hält als der Deckel.
(27.11.2004, 18:55 Uhr)

Guido: @Rainer :

Genau DAS würde mich auch mal interessieren - wenn Du oder jemand anderes schon Informationen haben, würde ich mich über eine Email sehr freuen!

Meine Linsen : Nikkor f/1.8 50 mm & Sigma 28-200mm f/3.5-5.6 Makro, an der Nikon D70.
(23.11.2004, 14:34 Uhr)

Albert Diemberger: Die Idee mit der Retrostellung ist ja nicht neu. Schon aus der Analogzeit kennt man die Eigenschaften von Objektiven, die naturgemäß für die Ferne korrigiert sind. Sie umzudrehen und mit der Frontlinse an die Kamera zu gehen macht aus jedem Objektiv ein Makroobjektiv.
Dir Stefan danke ich für die Idee, daß man das bei dei Canon 300 D ja auch machen kann und mehr noch für die genaue Beschreibung auf der Website. Ich finde Deine Bilder prima. Danke für die Mühe und ganz liebe Grüße: Albert!
(03.11.2004, 07:25 Uhr)

: Hallo Stefan, hab dein Bild in der FC gesehen und dann direkt auf deine HP. Genial die Idee, ich den Adapter gleich nachgebaut und zwar aus Metall.

Ich hatte hier noch eione alten FD-EOS Adapter dem hab ich die Linsen raus und ihn dann auseinandergebaut, somit hatte ich schon mal ein passendes Bajonett.
Den zweiten Teil hab ich aus einer alten Nahlinse (58mm) gebaut.
Linse rausgeklopft und dann den übriggeblieben Ring mit dem Hammer und einem Brett dazwischen drauf geklopft.

Danke
(30.10.2004, 14:25 Uhr)

Olaf Bathke: Genial, ich packe morgen mal einen Link zu diesem Workshop in den Newsbereich meiner HP. Das ist echtes Recycling... ;-)

Liebe Grüße Olaf Bathke
(30.10.2004, 11:39 Uhr)

Rainer: Hallo Stefan, ich kann mich nur anschließen. SEHR beeindruckt. Ich habe allerdings die D70 und das Sigma 18-125DC und das Tamron SP 90mm Di Makro (geht bis 1:1). Hast Du Ideen oder Quellen, wie man deine Idee auf der Nikon realisieren könnte?
Gruß
Rainer
(30.10.2004, 10:43 Uhr)

: Stefan,

ich bin beeindruckt! Unglaublich was Du da für Ideen hast und wie gut diese Aufnahmen sind.
LG Marian
(28.10.2004, 22:38 Uhr)

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