Wer das Canon
18-55mm als günstiges Einsteigerobjektiv für Weitwinkel- und Normalaufnahmen
betrachtet, der verkennt wohlmöglich die Fähigkeiten, die es z.B. auch im
Makrobereich hat. Hier ist es selbst den Makrospezialobjektiven in Sachen
Abbildungsmasstab haushoch überlegen.
Wie das geht ? Ganz
einfach, es wird nicht auf die herkömmliche Art und Weise mit der Canon DSLR verschraubt, sondern verkehrtherum, also mit der Frontlinse zum Gehäuse
zeigend, angesetzt.
Dazu eine
Demonstration anhand des Auges einer Biene:
Während das
Kitobjektiv in Normalstellung eine maximale Abbildungsgrösse von etwa 1:2
erreicht (Motiv wird in der halben Grösse auf dem Sensor abgebildet), übertrifft
es in der Retrostellung ein spezielles 1:1-Makroobjektiv um den Faktor 4.
Nicht nur, wenn ein
Objektiv mit der Kamera verschraubt ist, lässt es sich nutzen. Sie können es
auch so in die Hand nehmen und durchblicken. Wenn es umgedreht, also mit der
Frontlinse zum Auge zeigend gehalten wird (Retrostellung), dann wird daraus eine
extrem vergrössernde Lupe.
Dieser Effekt lässt
sich auch mit der Kamera nutzen. Dafür braucht es für erste Testzwecke zunächst
nicht fest verschraubt werden; es reicht, wenn es einfach
an die Kamera drangehalten wird.
Versuchsweise kann es
z.B. mit einem Buch abgestützt oder mittels einiger Gummibänder provisorisch mit
der Kamera verbunden werden um damit extrem vergrösserte Aufnahmen machen zu
können.
Gummiband- oder
Buchmethode sind natürlich nur eine provisorische Lösung mit der sich kaum
ernsthaft Makroaufnahmen realisieren lassen. Weiter unten wird dazu eine
Selbstbauanleitung vorgestellt, um das Kitobjektiv praxisgerechter mit der
Kamera zu verbinden.
worauf der Effekt
basiert
Durch Balgengeräte
oder Zwischenringe lässt sich ein Vergrösserungseffekt erzielen, weil die
Entfernung von Rücklinse zum Bildsensor erweitert wird. Der gleiche Effekt tritt
faktisch ein, wenn das Objektiv umgekehrt an die Kamera gesetzt wird. War
vormals die Bildweite - also der Abstand von der Linsenhauptebene zum Bildsensor
- nur ein paar Zentimeter gross, kommt jetzt die Gegenstandweite (Abstand
Motiv zur Hauptebene) zum Zuge. Vereinfacht ausgedrückt wird jetzt die
Mindestdistanz, die in Normalstellung für das Objektiv gilt, zur
Auszugsverlängerung, während die Distanz von Bildsensor zur Hauptebene nun zur
neuen Mindestentfernung wird.
2. Vergrösserungsbereich
Das Canon 18-55mm verfügt als Zoom auch in der Retrostellung über verschiedene
Vergrösserungsstufen. Hier führt jedoch die grösste Brennweite von 55mm zur
geringsten Verkleinerung, während die Stellung bei 18mm die maximale
Abbildungsgrösse zeigt. Insoweit ist das Kitobjektiv mit seinen 18mm den meisten
anderen Objektiven, die sich natürlich ebenfalls in Retroposition an der Kamera
betreiben lassen, in Sachen Abbildungsmasstab überlegen.
Die Vergrösserungsstufen im Überblick:
Abhängig von der Fokussierstellung des Fronttubus lassen sich unterschiedliche
Grössenmasstäbe bei gleicher Brennweite erreichen. Das 1-Cent-Stück wurde
masstabsgetreu 18-fach verkleinert abgebildet.
3. Abbildungsqualität
Die reine Abbildungsgrösse ist
natürlich nicht alles, denn zu einem gelungenen Makrofoto gehört auch eine hohe
und detaillierte Auflösung. Verglichen wird daher das Kitobjekiv mit dem
hervorragend auflösenden Tamron SP AF 90mm DI Makro 1:1. Um gleiche Verhältnisse
zu schaffen, wird das Canon 18-55mm auf den Abbildungsmasstab von 1:1
eingestellt.
Die Aufnahmen wurden vom Stativ
mittels Fernauslöser und Spiegelvorauslösung bei höchster Jpeg-Auflösung
vorgenommen. Aus einer Reihe von Aufnahmen, die sowohl mit Autofokus als auch
manueller Fokussierung erstellt wurden, ist jeweils das schärfste, unbearbeitete
Bild ausgewählt:
Ob Briefmarke,
Ohrenkneifer oder Schuster: die Unterschiede beim Abbildungsmasstab von 1:1
zwischen Kitobjektiv und Makrospezialist fallen kaum ins Gewicht. Angesichts des
Preisunterschiedes überrascht hier das Canon 18-55mm also mit beachtlicher
Detailauflösung.
Ein Grund für die
gute Abbildungleistung ist darin zu sehen, dass nur der zentrale Kreis der Optik
ausgenutzt wird und so praktisch das "Filetstück" der Linsen zur Anwendung
kommt.
4. Einschränkungen
Das Canon 18-55mm
wird über den im 2. Teil vorgestellten Adapter nicht elektrisch mit der Kamera
verbunden, daher ist die Blende nicht verstellbar. Eine
elektrifizierte Lösung mit der Möglichkeit einer Blendenregelung über die Kamera
wird z.B. von Novoflex mit dem sogenannten Umkehradapter
hier
angeboten.
Es wird also mit dem
Kitobjektiv normalerweise mit Offenblende gearbeitet, was im extremen Makrobereich zu
einer sehr geringen Schärfentiefe führt. Wie dies umgangen werden kann, dazu
weiter unten ein paar Tipps.
Als weitere
Einschränkung gilt, dass manuell fokussiert werden muss, da der
Autofokussiermotor durch die fehlende elektrische Verbindung zum Objektiv nicht
angesteuert werden kann.
5. Praxistipps
mehr Schärfentiefe
für mehr
Schärfentiefe gibt es allgemein drei Techniken:
a) den Abstand zum
Motiv vergrössern
b) eine kleinere Brennweite wählen
c) Abblenden
Alle drei Methoden
können auch im extremen Nahbereich angewandt werden, wenngleich sich
beispielsweise die Abstandveränderung nur im Bereich von 11,5 - 3,5 cm bewegt.
Die Abblendtaste lässt sich - wie erwähnt - in Retrostellung nicht mehr direkt
über das Wahlrad steuern. Dies kann jedoch umgangen werden, wenn das Objektiv
zunächst normal mit der Kamera verbunden wird, dann wird wie gewohnt eine grosse
Blendenzahl eingestellt und die Abblendtaste festgehalten. Während Sie die
Abblendstaste festhalten, wird das Objektiv von der Kamera gelöst und in
Retrostellung gebracht. Die kleinere Blende bleibt dann im Objektiv weiterhin
aktiv und kann so für Aufnahmen genutzt werden.
Eine weitere Lösung kann in der nachträglichen
Bearbeitung mit der elektronischen Bildbearbeitung liegen, wenn mehrere
Aufnahmen desselben Motivs mit verschobenem Fokussierpunkt miteinander
fusioniert werden. Voraussetzung ist hierbei ein absolut ruhiges Motiv. Eine Praxisanleitung für Photoshop finden Sie
hier
mehr Licht
Für die Praxis
empfiehlt es sich eine Taschenlampe mitzuführen, um bei extremen
Vergrösserungsmasstäben der zunehmenden Dunkelheit entgegenzuwirken, denn
mittels des Sucher wird manuelles Scharfstellen auch bei Tageslicht bei
stärkerer Vergrösserung schwieriger.
Viel Licht wird auch
benötigt, um durch kurze Verschlusszeiten Bewegungs- und Verwacklungsunschärfen
zu minimieren. Neben Taschenlampen können hier auch spezielle Makroblitzgeräte
weiterhelfen.
6. Einige Bildbeispiele (Mausklick für Grossansicht)
Schnake
Marienkäfer
Ameise
7. Selbstbau
Neben Novoflex mit dem Umkehradpater hat auch Canon für den Supermakrobereich
das ebenfalls auf der Retrotechnik basierende Lupenobjektiv
MP-E65mm im Programm. Auch bei dieser Lösung muss allerdings auf den
Autofokusbetrieb verzichtet werden.
Warum also nicht ein paar hundert Euro sparen und selbst Hand anlegen ?
Eine
Selbstbauanleitung und weitere Infos gibt's dazuhier im 2. Teil
Sie können alternativ den Adapter auch im Traumflieger-Shop kostengünstig
erwerben. Dort ist auch eine verbesserte Version (Retroadapter-Professional) mit
Schraubgewinde verfügbar. Zum Angebot bitte
hier entlang
sigi: Alles funktioniert gut mit dem Traumflieger-Retroadapter! Gute Ergebnisse erzielt man etwas abgeblendet mit dem Einbaublitz der 20D wenn man ein (lebloses) Objekt in winkelige Styroporwände einbaut (Distanz vielleicht 8 - 15 cm): Die Lichtausbeute steigt und die Ausleuchtung ist diffus. Funktioniert auch aus nächster Nähe, wenn das Objektiv Schatten wirft. Und Licht kann man im Supermakro-Bereich nie genug haben... (06.11.2005, 16:03 Uhr)
muelli: Ich habe den RetroAdapter ausprobiert, am Kit-Objektiv, und war echt platt: Zwar gab durch den man. Fokus ein paar Verwackler, aber die Bilder, die was wurden, waren überraschend gut.
Einfach eine geniale Lösung. (01.08.2005, 11:24 Uhr)
Alli: o.k. ... liest sich ja alles gut. Doch sollte als Vergleichsobjektiv nicht das 1:1 Tamron, sondern das 5:1 Canon Lupenobjektiv dienen. Und bei dem ist z.B. die Bilddistanz erheblich größer, was deutliche Vorteile bei der Ausleuchtung und beim Problem "Flucht der Kleintiere" bringt. Das Preis-Leistungsverhältnis solcher Spezialopbjektive ist zwar nicht "1" ... aber auch nicht "unendlich" (14.07.2005, 11:14 Uhr)
T.C.: Hallo zusammen, kurze Idee: Da bei der Verwendung als Umkehrobjektiv doch sowieso alle Einstellmöglichkeiten und AF etc. verloren gehen - bietet sich doch an, statt des EOS-Objektivs einfach ein altes manuelles Objektiv zu verwenden. Es gibt ja genügend 24er, 28er und 28-70 oder 28-80 Zoom-Festbrennweiten die auch alle in Retrostellung bestens funktionieren (habe ich selbst an MF-Kameras ausgiebig durchgetestet). Dann läßt sich auch in Retrostellung z.B. problemlos die Blende noch verstellen! (28.05.2005, 11:10 Uhr)
Felix Menzel: Klappt einwandfrei. Man kann sogar bis ca. 33mm den eingebauten Blitz verwenden. Am besten Firemware Hack drauf damit 1/200 Synchro und manuelle Regulierung funzt und schon kann ohne Probleme freihändig mit 100ISO knipsen. Auch die Qualität ist spitze, absolut empfehlenswert, bin begeistert!!! :) (03.05.2005, 00:31 Uhr)
Carsten: WOW! Geile Sache das... Hab auch n bischen gebastelt. Hab allerdings als Übergang zum Objektiv einen einfachen UV-Filter benutzt... der ist einfach aufzuschrauben und hält bombensicher... (23.01.2005, 21:53 Uhr)
chris: ich hab das auch gebastelt klappt echt supi :-) werde nur vor die hinterlinse noch was bauen...weil wenn da ein kratzer drauf kommt.....
wie schaut das aus mit dem blende einstellen???gibts da auf die dauer keine probleme mit dem objektiv, wenn man das plötzlich vom kontakt nimmt???
lg
chris (21.01.2005, 17:56 Uhr)
Philippe: Ich habe das Umkehradapter gebastelt und mit Modelbau Plastik kleber geklebt und noch mit Heißklebe drüber geklebt , das teil ist genial, es ist wirklich in Macro bereich für venig Geld . Danke Philippe (16.01.2005, 18:05 Uhr)
Jonnyswiss: Jep, geht mir ebenso!
Dies ist nicht mein ersterr und auuch nicht mein letzer Besuch auf dieser Seite, hier hat es wirklich sehr vielesuper gute Tipps¨komprimiert zusammengefasst, die man sonst zum Teil nur sehr Mühsam zusammmensuchen muss.
So, jetzt mache ich mich auf die suche nach einem guten tip, wie ich meinen Pocket-PC als IR-Fernbedienung "zweckentfremden" kann - klapen soll es ja, hab ich schon mal wo gelesen, nur leider war keine Anleitung dabei! (12.01.2005, 17:04 Uhr)
Dieter: Hallo, erst einmal vielen Dank für diese infaormative Seite. Ich denke, da werde ich noch oft verweilen und nachblättern, da die komplette Info nicht in einem zu "verdauen" ist. Abgelegt als ständiger Link ist sie schon :-)
Bewundernswert auch die Fotos. (17.12.2004, 19:52 Uhr)
Umgangssprachlich sind extreme
Makroaufnahmen Abbildungsgrössen, bei denen das Motiv die Realgrösse
übersteigt (über 1:1-Abbildungsmasstab hinaus). Typische Motive sind
Details von grösseren Käfern oder Schmetterlingen (z.B. Augenpartie oder
Flügelstruktur) bzw. die Möglichkeit, sehr kleine Insekten überhaupt
detailliert zu erfassen. Darüberhinaus lassen sich Mineralien,
Mikroprozessoren, Schneekristalle etc. hochaufgelöster ablichten.
Technisch wird die Nahdistanz der Objektive
herabgesetzt. Dies lässt sich an vorhandenen Objektiven durch Nahlinsen,
Balgengeräte, Zwischenringe oder mittels Retroadapter bewerkstelligen.
Retroadapter bieten in der Regel (mit Weitwinkelobjektiven kombiniert) die
höchste Vergrösserung und sind sehr kostengünstig. Für Canon gibt es aber
auch das spezielle
Lupenobjektiv MPE-65 (ca. 800 - 900 Euro), das bereits
ohne Zusätze im extremen Abbildungsmasstab bei sehr hoher Qualität
ablichtet.
Im extremen Makrobereich liegt die Distanz
von der Frontlinse zum Motiv bei wenigen Zentimetern (ca. 3 - 10cm), so
dass Abschattungsgefahr vorhandener Lichtquellen besteht. Zudem sinkt die
Lichtleistung proportional zur Abbildungsgrösse. Es empfiehlt sich daher
bei ruhenden Motiven der Stativeinsatz am besten mit einem Makroschlitten
kombiniert und/oder der Einsatz von speziell für Makroaufnahmen geeignetem
Blitzlicht. Letzteres ist idR notwendig, wenn Sie lebende Bewegtmotive
bzw. ohne Stativeinsatz fotografieren möchten.
Da im Makrobereich die Schärfentiefe sehr
flach wird, ist es zwecks Dehnung empfehlenswert, die Blende zu schliessen
(hohe Blendenzahl z.B. im Programm AV oder M einstellen). Nachteil: Je
kleiner die Blende, umso weniger Umgebungslicht lässt sich nutzen. Die
Motive lassen sich dann oft nicht mehr scharf ablichten sondern
verschwimmen. Ein Ausweg aus dem Dilemma besteht im Einsatz von
Blitzlicht.
Kamerainterne Blitzgeräte sind meist nicht
optimal, da sie oft durch das Objektiv abgeschattet werden. Daher bietet
der Markt spezielle Makroblitzgeräte an. Üblich sind entweder
Ringblitz-Systeme, die auf die Fronlinse gesteckt werden oder Duo-Blitze,
die über zwei oder mehrere Blitzköpfe verfügen. Letztgenannte
Duoblitzsysteme lassen sich auf Schienensystemen anbringen und sind
Ringblitzen durch eine variantenreichere Lichtabgabe idR überlegen (es
lässt sich bedarfsweise auch seitliches Licht auf das Motiv werfen).